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Archiv-Artikel

Endlich wieder Heimspiele

Die irakischen Fußballer stehen im Viertelfinale gegen Australien und genießen nicht nur die Sympathien der griechischen Zuschauer, sondern auch die Unterstützung vieler exilierter Landsleute

AUS ATHEN MARTIN HÄGELE

Es ist schwer zu sagen, worauf Adnan Hamd Maajid stolzer ist. Dass er mit seiner Fußballmannschaft auf Medaillenkurs liegt und sie vielleicht alle am Montag in einer Woche als Volkshelden nach Bagdad fliegen können. Oder sind es die Glücksgefühle, die Trainer Adnan und seine Kicker ihren kriegsgeplagten Landsleuten übermitteln, wenn sie nun morgen als Sieger ihrer Gruppe im Viertelfinale gegen Australien stehen.

Adnan hat nicht einmal aufgegeben, als die Bomben fielen. Er telefonierte die Mannschaft zusammen zum Training, als die GIs das Sha’ab-Stadion als Garage für ihre Panzer beschlagnahmten, fand er andere Plätze, „was oft lebensgefährlich war, weil fast überall in Bagdad geschossen wurde“. Nach dem offiziellen Kriegsende mussten die Kicker erst recht zusammenrücken. Weil das Nationalstadion unbrauchbar geworden war, wurden alle Qualifikationsspiele auswärts angesetzt. Notgedrungen musste sich Iraks Fußballauswahl zum Wanderzirkus verwandeln, die Olympia-Vorbereitung geriet zu einer Tournee über mehrere Kontinente: Deutschland, England, Australien, Japan, Südkorea, Thailand, diverse Golfstaaten und zum Abschluss die Asien-Meisterschaft in China, wo die Auswahl im Viertelfinale mit 0:3 der Gastgebernation unterlag.

Dieses Leben im Exil fördert, ja verlangt Disziplin und Demut aber auch Mannschaftsgeist und Nationalstolz; lauter Tugenden, die beim 4:2-Sieg gegen Portugals erfolgsverwöhnte Auswahl um den Eurohelden Cristiano Ronaldo den Unterschied ausgemacht haben. Dank ihrer emotionalen Geschlossenheit könnten Adnans Leute selbst den Argentiniern oder Italienern gefährlich werden.

Es werde schwer werden, die Mannschaft noch lange zusammenzuhalten, glaubt Bernd Stange, ehemaliger Nationalcoach und bis vor acht Wochen Adnans Vorgesetzter. Stange musste seinen Job in Bagdad auf Verlangen des Auswärtigen Amts quittieren, in Patras oder Thessaloniki kann er seine alten Schützlinge treffen. Jetzt sind es die Spieler, die freiwillig weg wollen. Zwei haben gerade erst bei einem Klub in Kairo unterschrieben, andere haben Angebote aus den Profiligen in Jordanien und Syrien oder spielen bereits in Katar. Und um Hajdar Jabah, den Abwehrchef, bemüht sich angeblich ein deutscher Zweitligist.

Die olympischen Auftritte sollen als berufliches Sprungbrett in eine sichere und komfortablere Welt dienen. Andererseits aber spüren die Athleten aus Bagdad, Basra und Nadschaf dieser Tage stärker denn je ihre Wurzeln. Sie wurden in Griechenland empfangen, als schlage in jedem Olympiabesucher ein irakisches Herz, und tausende Exiliraker, die einst vor Saddam Husseins Regime geflohen sind, ziehen ihren Landsleuten durch die griechischen Stadien hinterher. Adnans Leute haben endlich wieder Heimspiele.

Und geben etwas zurück. „Meine Spieler haben als Botschafter unser Volk stolz gemacht“, sagt Adnan und berichtet von Reaktionen aus Bagdad. 20 der 25 Millionen zu Hause säßen bei ihren Spielen vorm Fernseher. Das seien glückliche Stunden, in denen werde auch nicht geschossen. Da war es nicht mehr weit bis zum ersten olympischen Gesetz der Antike. Damals mussten während der Spiele die Waffen ruhen.

Am Dienstag hat die irakische Nationalmannschaft eine Petition an die Übergangsregierung in Bagdad sowie ans US-Hauptkommando geschickt, doch bis zum Ende der Spiele „die alten olympischen Regeln zu beachten und kriegerische Handlungen auszusetzen“. Auf diese E-Mail ist Adnan besonders stolz. Sonst hat er Angst vor den Nachrichtensendungen. Obwohl auch diese unzähligen gemeinsamen Stunden, wenn sie mit ihrem Zorn, ihrer Wut und ihrer Ohnmacht in irgendwelchen Hotelzimmern vor dem Fernseher gesessen haben, zur Entwicklung der besten irakischen Fußballmannschaft aller Zeiten beigetragen haben.